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Selbstverteidigung: "Ihr seid keine Opfer!"

Aus ganz frischem Anlass möchte ich dir erzählen, welche positiven Erfahrungen ich in einem Selbstverteidigungskurs vom Januar 2019 gemacht habe. An einzelne Sätze der beiden Kursleiter erinnere ich mich immer wieder und heute brauchte ich sie. Doch der Reihe nach.

Selbstverteidigung

Meine Lieblingsübung: Dem Kursleiter in die Weichteile treten

Anfang 2019, also relativ kurz nach meiner Klinikentlassung im November 2018, wurde ich irgendwie auf einen eintägigen Selbstverteidigungskurs im Januar 2019 eines kleinen Leipziger Sportvereins aufmerksam. Ich bin bis heute froh, dass ich daran teilnahm. Wir waren recht viele Teilnehmer und auch ein paar Männer waren dabei. Erst war es für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Zur Aufwärmung sollten wir gleich mal brüllen und mit einer Art Knüppel auf eine Gummimatte hauen. Na toll, das war für mich natürlich erstmal gar nichts :-). Ich habe mich so geschämt.

 

Doch mit der Zeit taute ich auf. Als wir alle eine Faust ballen sollten, war ich eine der wenigen, die die Faust richtig ballte. Einer der Kursleiter (beide waren Kickboxer) nannte meine Faust dann sogar „Männerfaust“. Bin ich bis heute stolz drauf und gebe ich gerne mit an :-). Meine Lieblingsübung kam gegen Ende des Kurses. Der jüngere Kursleiter hatte sich um Bauch, Hüfte und Oberschenkel dicke Matten gebunden. Er forderte uns bewusst auf, mal alle angestauten Aggressionen rauszulassen. Wir sollten einzeln auf ihn zugehen, ihn an der linken Schulter mit beiden Händen packen und mit dem rechten Knie aber mal so richtig in die Weichteile treten. Wer wollte und konnte, brüllte dabei. Ohne Witz, das machte mir richtig Spaß :D. Heute weiß ich, dass sich damals bei mir erstmals auch einiges löste.

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"Ihr seid keine Opfer!" und "Seid laut!"

Was sich mir regelrecht ins Hirn brannte, waren diese beiden Sätze der Kursleiter: „Ihr seid keine Opfer!“ und „Seid laut! Sagt irgendwas, aber sagt es laut!“ Vor allem der Satz „Ihr seid keine Opfer!“ ging mir damals sehr nahe. Mich wehren zu können und zu DÜRFEN!, nicht ausgeliefert zu sein, Handlungsmöglichkeiten zu haben, hat mich nachhaltig beeinflusst. Mir gehen diese Sätze regelmäßig durch den Kopf. Und heute brauchte ich sie.

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"Komm mit!"

Ich war vorhin draußen, wollte mich nach den intensiven Artikeln zum sexuellen Missbrauch etwas beruhigen und ablenken. Einfach nur ein kleiner Spaziergang auf meiner Standardrunde, dann zur Post und beim Fischstand vorm Rewe der Leutzsch Arkaden ein Fischbrötchen holen. Als ich mir vor den ersten Läden der kleinen Einkaufspassage die Maske aufsetzte, quatschte mich ein Mann an und kam mir viel zu nahe. Ich spürte augenblicklich, dass etwas nicht stimmt. Er wollte den Weg zu einer Ärztin in der Nähe wissen und gab vor, kein Deutsch zu verstehen. Als ich ihm sagte, dass ich kein Englisch spreche, meinte er: „Komm mit.“ Daraufhin gab es ein „Geht’s noch?!“ und ich ging um die Ecke.

 

Nachdem ich meine Wege erledigt hatte und gerade wieder von der Passage auf den Gehweg einbiegen wollte, blieb ich erstarrt stehen – nur ein paar Meter weiter wartete der Typ. Entnervt bin ich einen Umweg gelaufen und wem begegne ich nach kurzer Zeit? Universum, warum? Er hatte nun eine andere Frau angesprochen, zeigte ihr denselben Zettel. Doch als er mich sah, wusste ich schon: „Oh scheiße.“ So war es dann auch. Ich lief schon etwas schneller, als ich ihn hinter mir irgendwas rufen hörte.

 

Die Kursleiter fielen mir wieder ein: „Ihr seid keine Opfer!“ und „Seid laut!“ Bevor ich mich also umdrehte, sah ich noch einen älteren Herrn auf dem Fußweg, der gerade bei einem nahegelegenen Kindergarten seinen Enkel abgeholt hatte. Ich drehte mich zu dem Typen um und rief: „Wenn du mich nicht gleich in Ruhe lässt, rufe ich die Polizei!“ Das interessierte ihn kein bisschen. Also lief ich direkt auf den älteren Herren zu, der sich mir näherte und sprach ihn an: „Können Sie bitte kurz zusammen mit mir hier warten, bis der Typ vorbeigelaufen ist?“ und erklärte ihm noch kurz, was passiert war. Der Typ kam zu uns und wollte nun von dem älteren Herrn den Weg wissen. Plötzlich verstand er Deutsch und ging weiter, ohne sich nochmal umzudrehen. Wir warteten noch, bis er an der Kreuzung um die richtige Ecke gelaufen war. Dankbar sah ich den älteren Herren an, bedankte mich und ging nach Hause.

 

„Ihr seid keine Opfer!“ – Danke, Jungs.

Selbstverteidigung Ich kann mich wehren

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